Appetshofen/Lierheim

Jochen Kirchner Fotodesign
Schloss Lierheim

Appetshofen heißt im 12. Jahrhundert „Abbateshofen“, bei den Höfen des Abtes (wahrscheinlich von Ellwangen). Im 18. Jahrhundert ist der Grundbesitz größtenteils zwischen den Herrschaften Lierheim und Oettingen geteilt worden. Vom Kaiser Karl V. hatte die Gemeinde das Privileg eines „Bauernkönigs“ verliehen bekommen. Weit sichtbar steht das Schloss Lierheim auf einem Hügel, an dessen West- und Südseite die Eger entlang fließt. Am anschließendem Hang, der nach Süden und Westen abfällt, umgeben die Häuser des Dorfes das Schloss, welches dadurch erhaben im Mittelpunkt steht. Der Name Lierheim kommt aus dem mittelhochdeutschen Wort „Iewer“ und bedeutet: „Heimat am oder auf dem Hügel”. Zum Teil ist der Hügel aus verbrannten Granit, der am südlichen Rand zu Tage tritt. Der Meteoriteneinschlag , der die Rieser Landschaft vor 14,8 Millionen Jahren formte, schob dieses Gestein nach oben.

Lierheim ist ein alter Siedlungsplatz. Der gute Boden, das milde Klima, hervorgerufen durch den schützenden Kraterrand und die fischreiche Eger machten eine frühe Besiedlung möglich. Bei archäologischen Ausgrabungen in der nahe gelegenen „Hexenküche” am Kaufertsberg wurde eine 7500 Jahre alte rituelle Kopfbestattung nachgewiesen. In den Breitenäckern, in der mittleren Gwand hinter Lierheim, bei Haus-Nr. 79, 80 und 85 sowie im Schlossgarten fand man vorgeschichtliche Siedlungsspuren.

Die Herren von Lierheim

Mit dem Namen Lierheim verbindet sich ein altes Rittergeschlecht, nämlich die „domines nobiles et liberi”, die freien und edlen Herren von Lierheim. Schon im Jahre 948 kommt in Raxens Turnierbuch ein Heinrich von Lierheim vor. Von 1071 bis 1086 ist ein Otto von Lierheim Gegenbischof in Konstanz.

Die erste urkundliche Erwähnung im Codex Traditionum des Klosters St. Ulrich und Afra in Augsburg ist vor 1128. „Adaloid von Eresried (Gem. Steindorf LK Aichach Friedberg) und seine Ehefrau übertragen Besitz in Eresried mit Kirche, Leibeigenen und Zubehör, sowie Besitz in Steindorf (LK Aichach Friedaberg) auf Todfall. Zeuge ist u.a. Egilofus de Lierheim”.

Die von Lierheim gehörten nebst denen von Öttingen und Hürnheim zu den wichtigsten adeligen Geschlechtern im Ries. Die Lierheimer und Hürnheimer verknüpften auch verwandtschaftliche Bande. 1275 siegelten ein Cunrad von Lierheim und sein Großvater Hermann von Hürnheim. Wie man sieht, gehörten sie schon früh zu der führenden Geistlichkeit. Der Bischofssitz in Konstanz war einer der wichtigsten im damaligen Deutschland. In Augsburg wurde 1091 Hartwig I. von Lierheim zum Bischof gewählt, er regierte 33 Jahre. 1199 wurde dort Hartwig II. von Lierheim zum Bischof gewählt. Er war ein Mönch und regierte 4 Jahre. 1304 sind Conrad, und 1322 Theodor von Lierheim Domherren in Straßburg. 1333 ist Friedrich von Lierheim Domherr zu Würzburg und Straßburg und 1364 sind Friedrich und Hartwig von Lierheim Chorherren in Eichstätt.

Auch zu den Klöstern pflegten die Lierheimer gute Beziehungen. Die Adelsfamilien legten großen Wert auf eine Familiengrablege in einer Klosterkirche. Die verstorbenen wohnten somit täglich einer Messe bei. Die Edelfreien von Hürnheim und auch die von Lierheim unterstützten 1252 die Umsiedlunge von Kloster Stahlsberg bei Hechlingen nach Zimmern. Somit war das Kloster mitten im Ries, in fruchtbarem Gebiet und die Edelfreien hatten ihre Toten in der Nähe. Nach alten Überlieferungen sollen die von Lierheim die Vögte im Kloster Mönchsdeggingen gewesen sein. Das Kloster hatte zwar die geistliche Macht, der Vogt dagegen übte die weltliche aus. Im 13. und 14. Jahrhundert kaufte das Kloster Kaisheim Güter in Möttingen und Kleinsorheim von den Edelfreien von Lierheim. Auch ist ein von Lierheim Kantor im Stift Ellwangen.

Ihren Besitz hatten die von Lierheim großenteils am Unterlauf der Eger: in Großelfingen, Enkingen, Balgheim, Lampartshofen( um 1300 zwischen Balgheim und Möttingen abgegangen), Möttingen, Lierheim, Appetshofen, Kleinsorheim, Wörnitzostheim und Heroldingen. Vom 14. Jahrhundert an nahm der Einfluss der Herrschaft Lierheim ständig ab. Güterverkauf und Schenkungen trugen dazu bei. Am 25. August 1427 erwirbt Graf Ludwig von Öttingen das Schloss Lierheim. Die Herrschaften von Lierheim zogen zunächst nach Wasseralfingen, dann nach Hohenstein bei Bönnigheim (Württ.). Und mit Sebastian von Lierheim starb am 12. November 1568 der letzte dieses Geschlechtes in Bönnigheim. Sein Grabstein ist in der dortigen Kirche noch zu sehen.

Schloss und Dorf

Am 29. April 1454 verkauft Graf Wilhelm von Öttingen sein Schloss Lierheim mit allem Zubehör (auch Leibeigene) an Amalie, Witwe des Erckinger von Mittelburg und deren Söhne Ulrich und Erckinger von Mittelburg, ein Adelsgeschlecht aus Treuchtlingen. Diese Herrschaft baute die mittelalterliche Burg, um. Davon sieht man heute noch die Buckelquader an den Grundmauern und am Graben.

1495 geht das Schloss und Dorf Lierheim an die Herren von Hürnheim-Haheltingen über. Im Bauernkrieg 1525 erbittet sich der Ritter Walter von Hürnheim , der Bundeshauptmann, von Nördlingen einige Büchsenschützen zur Sicherung seines Schlosses Lierheim.

Doch Hans Walter von Hürnheim zu Kirchheim und Niederalfingen verkauft sein Schloss und Dorf Lierheim am Montag nächst vor St. Walpurgentag 1541 an die freie Reichstadt Nördlingen um 16000 Gulden und 5000 Gulden in Gold.

Der Bauernkönig von Appetshofen

Ein gewisser Herr Moll berichtet 1760, dass die Gemeinde Appetshofen einen „Bauernkönig” habe, ein Vorrecht , mit dem außer ihr in allen zehn Kreisen des alten Deutschen Reiches nur noch zwei Dörfer von Kaiser Karl V. belohnt worden seien, weil sie sich in keiner Weise an dem Bauernaufstand des Jahres 1525 beteiligt hätten. Da aber feststeht, dass im „Deininger Haufen” auch Leute aus Appetshofen standen, muss die Erteilung des „besonderen Bauern und Freiheitsbriefes” auf andere Ursachen zurückgehen. Über die Aufgaben und Rechte dieses Bauernkönigs, der neben den „Vierern” die Einhaltung der Feldordnungen zu beobachten hatte, enthielt das Privilegium folgende Bestimmungen:

  1. Wenn einer zu Appetshofen oder zu Lierheim ein Hofgut bezieht, es geschehe durch Kauf, Tausch, Todesfall oder Heirat, so soll derselbe des Jahrs am Montag und des Herren Fastnacht durch den Bauernkönig samt seiner Mitgenossen zu einem Bauern installiert werden.
  2. Soll der eingesetzte Bauer allen Anwesenden ein Suppenfleisch oder Hennen, Hasenöhrlein (Mehlspeise) und Brot ohne alles Entgelt der anderen geben; die Gelder für den Trank aber sollen auf die Anwesenden angelegt werden.
  3. Wenn also ein Bauersmann einzusetzen ist, so soll der König in eigener Person auf einem wohlgeschmückten Roß und seine Fahne fein zierlich haltend, zu jedem, der dazu gehört, herumreiten, bei Strafe eines Guldens zu solchem Akt schaffen und dem, so ohne erhebliche Ursache sich absondert, ohne Nachlass einen Gulden samt dessen Anteil an der Zeche zu bezahlen auferlegen.
  4. Soll ein jeder Bauer in der Gemeinde dem neuen Bauern einen halben Tag mit ganzer Mehne (mit seinem ganzen Gespann) umsonst zu Acker fahren oder sonst in and er Weg zu dienen schuldig sein.
  5. Nach solcher Freiheit hatte der jeweilige Bauernkönig auch die Frevel, so sich in Dorf und Feld ereigneten, von einem bis acht Gulden strafen dürfen. Aber mit der Zeit seien diese Rechte von der oettingischen Regierung so eingeschränkt worden, so dass der Bauernkönig nicht mehr viel zu sagen und zu strafen hatte.

Wappenbeschreibung:

Auf goldenem Grund der Rieser Bauernkönig mit einer von Silber und Rot geteilten Fahne auf springendem Pferd. Unter den Vorderhufen des Pferdes freischwebend ein schwarzes Widdergehörn.

Wappenbeschreibung:

Farbe schwarz und gold.

„D's Häweter“
(Heuwetter)

'S ischt amol a Graus!
'S git a so viel Gras;
D's Regna loßt ned aus,
Alles isch patschnaß.

Guater Rot isch tuir;
Z'letscht git oir a Leahr,
Wo ma wohl für huir
D's Häweter bringt her.

D's Ortsvorschtehers Bua
Hot of Neares gsollt;
Kriagt a nuis Paar Schuah,
Daß er d's Weter holt.

Kommt oh richte do
Wohlbehalta a;
Höart vom Weter o,
Daß er's haba ka.

Macha doch an Schpuck;
Weil dia sind gar fei,
Teant s' a groaßa Muck
In a Schachtel nei.

Saga: „Liab'r Soh,
Guck beileib net nei,
'S fliagt soscht glei dervo;
Fangscht der's nimme ei!“

Hot se schöa bedankt,
Macht se glei of 'd Füaß;
Hot dernoch net glangt,
Bis er kommt an d's Rias.

'S krappelt awel drin;
D' Nuischier hot 'n plogt,
'S ischt net noch seim Sinn,
Hot noch nix meah gfrogt.

D' Schachtel macht er auf.
'Raus isch em glei gsurrt;
D's Maul reißt er no auf,
D' Muck ischt aber furt.

Doch, daß e net lüag,
Hintnoch schreit der Bua:
„O Häweter fliag
Appatshofa zua!“

Appetshofen lag mitten in der Riesgrafschaft, zwischen dem Spitzberg und dem Hahnenberg, und ein sauberer Bach floß genau daran vorbei. Abseits von den breiten Straßen sonnte es sich verloren in seinen Äckern und Wiesen, ein gar fruchtsames Dorf voller Ähren und Gras, und alles war da schön und gut. Die Sonne schillerte hier güldener als im übrigen Land, der Mond ging silbriger und runder. Alle Jahre wuchsen Äpfel und Birnen, daß die Bäume krachten. Vor lauter Weizensegen platzten die Säcke. Ein Bier hatten sie im Wirtshaus – kotz Kreuz und Dudenschwanz, welch ein Bier! Wie Nußöl rann es hinab die Gurgel. Noch im Tropfschaff war's nicht verloren. War dem Wirt eine Sünde wert, und die Bauern, waren sie erst tüchtig voll, soffen's hinunter ohne Gram. Die längste Kugelstatt weit und breit gab es in diesem Dorf. Die Kirchenglocken waren die größten und höchsten. Es ging wohl gar die Rede, daß bei den Appteshöfern der Sägbock kalbe, doch war das mehr ein Gerücht; ein Siegelwachs konnte man nicht dranhängen.
Aber auch ohne dies – die Appetshöfer waren nicht wenig stolz. Am Sonntag, wenn sie zur Kirche schritten, waren sie gehörig herausgeputzt. Der Brustfleck strotzte vor Silbertalern, an der Uhrenkette sprang ein silbernes Roß. Bis über den Kniebug gingen ihnen die lindschäftigen Stiefel empor, und ihren dicken Bauerngrind bohrten sie strack in den Himmel hinein, wie Leute, denen keines was Ungerades nachsagen kann. Nicht beim besten Willen und nicht beim schlimmsten. Sie hatten ein gutes Gewissen. Keine Gipfelgießer waren sie und keine Nebelsturer, keine Schafrupfer und keine Gelbfüßler. Kurzum, keinen von den vielen Torenstreichen hatten sie je verübt, wie sie den Bollstadtern, den Bopfingern auf der Schwarte brannten und so manchen Gemeinwesen dazuland. Und wie sie nun gescheit waren, die Appetshöfer, sie wußten ihren Witz zusammen zu halten; kein Narrenstreich würde ihnen auskommen.
Und da war es dann wieder einmal solch ein gutes, übergutes Bauernjahr. Eines, wie sie der liebe Herrgott allimmer in seinem Sack hat und für seine Appetshöfer – exakt für die! – zuweilen aus dem Sack herausläßt. Recht wie eine Butter– und Schmalzgrafschaft schaute das Riesländle aus, und, begreiflich, bei den Appetshöfern stand die Flur am allerschönsten. Hoch das Gras in den Wiesen. Der Storch schaute schier nicht mehr heraus. Der Weizen dick und voll. Es nahm einen wunder, wie man sich da später mit der Sichel hindurchschaffen sollte. Der Wachtelkönig schnarrte vor Freud' den ganzen Tag. Der Guckigauch glöckelte so fleißig wie noch nie. Die Bäume bogen sich bis zur Erde vor lauter Fruchtlast. Mannshoch wucherte das Nesselzeugs an der Kirchhofmauer. Und wenn die Zaunstecken hätten ausschlagen können, lauben und blühen, sie hätten's wahrhaftig getan.
Man kann sich's denken, den Appetshöfern wässerte nicht wenig das Maul. Herrgott neunundvierzig, das gab diesmal ein Jahr: Sie sagten nicht viel, einer zum anderen, aber wenn sie sonntags feiernd an ihren Hofzäunen lehnten und in die Feldung hineinspekulierten, dann blitzten ihnen die Zähne vor leisem Lachen.
Nein, so was. So hatte man's lange nicht mehr gesehen! Passet auf, die Scheunen werden zu klein. Den Kleestock müßt ihr hinaus ins Freie setzen. Einen Kleestock, wie das Kirchdach so hoch. Und zween Kühe mehr, vielleicht gar dreie, kann sich ein jeder gut und gern in den Stall stellen. Auch der Stall wird natürlich zu eng. Der Herrgott könnt' eigentlich ein übriges tun, könnt' ihn um eines Wiesbaums Länge anwachsen lassen, den Stall.
Man soll dem lieben Herrgott nicht ins Zeug reden. Er verrichtet das Seine schon selber. Und wenn er ein Wunder wirkt, geschieht es still. So sagten die Alten schon, so sagt man immer wieder, und die Appetshöfer glauben es auch. Sie hockten am Sonntag hinein ins Wirtshaus. Sie tranken die Krüge hohl, bis ihnen das Bier aus der Nase rauchte. Und sie verwarteten geduldig die Zeit.
Und so kam sie heran, die Grasblüh. Aber was ging da vor? Der Himmel, der bis da so schön blau war, nur von Zeit zu Zeit ein braves Reglein schickte, der Himmel wurde mit einem so wässrig, fing an, sich zu vertrüben. Der Laubgecker (Laubfrosch) schrie in den Hecken. Schrie Tag und Nacht, daß es kein gutes Zeichen war. Die Gutwetterwolken, allesamt waren sie eines Morgens verflogen. Regen floß hernieder, tagelang nichts wie Regen. Schon über eine Woche nun ging das schon.
Es ließen die Bauern das Maul hängen. Mit unwirscher Stirne liefen sie umher. Das Käpplein saß ihnen schier letz auf dem Kopfe. Trübselig baumelte die seidige Dulle am Ohr. Man kratzte sich die Runzeln aus dem Hirn; half nichts, da waren sie wieder. Ganz welk wurden die Herzen. Rappeldürr hatten sie dies Jahr das Heu unters Dach bringen wollen. Schaut an, wie war es nun? – Sie wurden des Lebens verdrossen.
Hoher Sommer war es bereits, ja das war es. Die Grasblüh war lange zeitig. Aber das Mähen, das Mähen? Regen und immer wieder Regen. Die Nebel hingen tief auf die Wälder. Ein Tag grauer denn der andere. Die Dachröhren spritzten und gurgelten. Kein Mond in der Nacht. Der Hundsstern mochte nicht aufgehen. Die Johanniskühlein hatten sich verkrochen im Kraut.
Unstet rutschten die bockshäutenen Hosen auf den glatten Ofenbänken hin und wider. Ins Wirtshaus mochten sie nicht mehr. Das süße Bier schmeckte auf einmal stichsauer. Herentgegen im Gemeindehaus fanden sie eines Tages zusammen. Da hockten sie denn und hingen ein jeder seiner vergrämten, verzürnten Schädel über das harthölzerne Tischblatt hinein.
„Gmoidsleut“, ließ sich der Bürgermeister jetzund vernehmen, „ons müasset halt um a anders Wetter g'schoba, s' ganz Gras versaufet und onser Küah könnet em Winter an Dreck fressa.“
Selb war ein Wort! Wie allemal, der Bürgermeister hatte seinen Hauskeil getroffen. Wie auf ein Kommando nickten die Gemeindsmänner, die sieben, mit den Köpfen. Mit verriegeltem Maul lurten sie vor sich hin. Denn zu sagen gab es da nichts mehr. Der Bürgermeister hatte das Nötige schon gesprochen. Um ein besseres Wetter musste man sich umtun, das war's. Ja und Amen, so war's. Bloß wie will man's anstellen?
Mit der Kanzel hatte man's bereits probiert. Schon den dritten Sonntag war der Pfarrer mit einem schönen, anhaltenden Gebitt beim lieben Himmel um ein Heuwetter eingekommen. Gefruchtet hatte es einen Pfifferling. Der Herrgott mochte nicht drauf hören. Weiß kein Mensch, warum. Die Appetshöfer haben ihm noch nie was in den Weg gelegt. – Einen jeden Laubgecker hatte man maustot geschlagen, sobald sich bloß einer hören ließ. – Der Schmied hatte sein Weib verprügelt, dieweil sich die sündhaft vergessen, dieweil sie in den Regen hineingelacht. – Den Kalender hatte man um und um geblättert und alle die alten Bauernregeln nachgeschaut; auch dieses war für die Katz'. – Wohl gar an die Bopfinger hatte der eine und der andere in der Geheime gedacht und wie die's mögen angestellt haben: Im Sommer den Sonnenschein im Schlaghäusle fangen und im Winter damit die Ofenspän dörren? Apart das? Ob auch was Wahres daran ist? – Rühren wollte keiner an dieser heikligen Sache. Sie war halt doch kurios.
So saßen sie denn schwerschlächtig Ellenbogen bei Ellenbogen, Kummer bei Kummer, im Gemeindehaus beisammen und einen Rat erfischten sie nicht. Das Pulver war auch schon erfunden. Und wären allda vielleicht bis zum jüngsten Gericht beieinander geärmelt, wenn nicht der Schellenkapper – ja, dem Schellenkapper war mit einem was gekommen. Ein Bröselein Witzpulver! Nicht gar oft hatte er so was auf der Pfanne. Aber nun? Bisweilen geschehen Wunder. Schon eine ganze Zeit blinzte er auf das fette Schnupfhäuflein hernieder, das er sich in die Daumengrube hineingehauen hatte; nun tröstete er seine Nase damit. Dies geschehen, schielte er mit seinen verzwinkerten Äuglein noch eine Weile so schräg über den Tisch hinein, und dann rückte er hervor mit seiner Weisheit. „Leut, was moint ihr, am End ka mer dees in der Apotheak z'Neres haba!“ So sagte es der Schellenkapper und er meinte damit das Heuwetter. Es war seine Meinung und war sein Rat. Und ein Rat ist oft gern zwei Kälber wert.
Drei Kälber! Fünfe! Siebene! – So hätten die Gemeindsleut' einhellig geschrien, wenn sie jetzt einer darum gefragt hätte. Es fragte sie keiner, und also durften sie ihre Kälber behalten. Aber den Schellenkapper starrten sie an wie einen Propheten. Nein, wie einen Pfingstapostel. Bloß das Heiliggeistflämmlein mangelte ihm noch auf seinem Schädel. Aber was wollt ihr? Auf dem Schädel saß doch die Kappe droben, und eben darunter hockte das Flämmlein.
Es hieben die Gemeindsleut' wie mit einem Schlag die Fäuste auf den Tisch. „Ganz guat! Der Schellenkapper hot's!“ So kam's wie aus einem Munde. Von allen Ecken nickten sie dem Apostel zu. Nur der Bürgermeister hockte da wie ein Holzscheit, giftete sich über die Gescheitheit vom Schellenkapper und sah so ziemlich aus, wie wenn er auf einmal der Dümmste wär'. –
Nun war die Apotheke in Neresheim zwar nicht die näheste im Ring herum gewesen, allein die Appetshöfer hatten seit alters ihren steifen Glauben dran, ihren gewohnten Lauf dorthin, und mit einem schönen Guldentaler schickten sie den Schellenkapper andern Tags schon vor dem Gockelschrei, auf den Weg. „Guten Morgen, Vetter Schellenkapper“, begrüßte ihn menschenfreundlich der Herr Apotheker, „treibt dich der Wind her, schon in aller Früh?“ Das war keine üble Rede, und man hört es sogleich, es war der Apotheker von Haus aus ein umgänglicher, kommoder Herr. Der Schellenkapper hingegen war ratzennaß. Das Haar tief in der Stirne, das Hütlein ab, stand er im Arzneiladen. „Wie geht's alleweil drüben in Appetshofen?“ fügte der Apotheker hinzu. „Wozu wetzt euch der Stiefel? Wo fehlt's?
Der Kapper bog einen schiechen Hals; schwieg. So flugs war er nicht, sein Kopf. Er brauchte seine Zeit zum besinnen. Er wischte sich mit dem drüben Schneuztuch die Nässe aus dem Gesicht. Er staunte das grausliche Drachentier an, das an einem Kälberstrick von der Decken herniederhing. Er schnupperte und schnäufelte, ließ seine gröbliche Nase ein weniges ihre Ergötzung haben an der fürnehmen lateinischen Luft.
Der Apotheker kannte ihn schon, den Apostel, wußte, daß er ein einfältiger Wichtling war, dazu ein ganzer Zagstock. Man mußt' ihm Zeit lassen, dem Schellenkapper, dann löste sich bei ihm der Zungenbändel von selber. „Und was kriegen wir denn, Vetter?“ fragte der Apotheker, gelassen wie zuvor, dabei in der besten Hoffnung, das Geheimnis aus dem Kapper, vielleicht noch vor dem Mittagläuten, herauszukitzeln. „Schermestee? Reitersalbe? Augsburger Tropfen?“
Der Schellenkapper schien keins davon zu kriegen. Er bog den Hals noch krümmer und horchte so vor sich hin.
„Cardebenediktenwasser?“ fuhr der Arzneimann fort. „Granatensaft? Perlzucker? Krebsaugen? Apostelkraut, Hyazinthelatewerg?“
Dem Scheine nach war auch diesmal das Richtige nicht darunter. Wenigstens der Vetter Apostel machte gicks, nicht gacks. Mit einem wahren Wickelkindsgesicht stund er da. Er wischte wieder das Hirn. Diesmal war es der Ehrfurchtschweiß. Mit den zween Händen wischte er zugleich. Und dabei ritt er auf seinem Dornstecken.
„Dann vielleicht Rinderpulver? Bibergeil? Leberbalsam? Kapuzinerpillen? Krätzfett? Holderessig? Bärenschmalz? Alten Theriak?“
Dem Schellenkapper zog es sachte die Lefzgen breit. „Jesses Gott“, dachte er bei sich, „doch wahrhaftig ein Tausendmännle, der Herr Apotheker!... Gutherzig und geduldsam, und bei weitem nicht so pressiert, wie's der Schullehrer allweil gewesen. Der sell hätt' jetzt schon längst wieder nach seinem Meerröhrle gelangt und hätt ihm, dem Schellenkapper, die Hinterschanz verklopft.“ – Und außerdem – so unsinnig viel Sach' in einem Kramladen, das gefiel ihm. Da braucht eins nicht gleich zum ersten Besten greifen. Da kann eins sich hübsch 'raussuchen, was er will.
Dem Herrn Apotheker ging freilich so allsgemach der Faden aus. Zum Glück hatte der Schellenkapper den seinen urplötzlich gefunden. „Do höar i geara zu, Herr Apotheaker!“ sagte er pfiffig. „Und jatz woiß i au, was i möcht.“
„So, weißt es jetzt?“ fragte schon etwas salzig der Apotheker.
„Om an Guldentaler a guats Häweter, Herr Apotheaker.“ So sagte der Schellenkapper, und damit klappte er seinen schönen Silberling auf den Tisch.
Der Apotheker lugte erstaunt durch die Brillen. Er ließ seine Glitzäuglein spielen. Schaut an, die Appetshöfer! Aufs Leutfazen möchten die auf einmal ausgehen. An seinem ehrlichen Gewerb herumfürwitzeln! Schon gut. Auf solch einem Tanzboden, da laß ich mich schon finden!
Und fürs erste dachte er an einen Katzendreck. Nur hat man derlei rare Mixturen nicht immer zur nächsten Hand. Eine Weile trat er, leise pfeifend, auf den Beinen herum. Er setzte sein ganz gelehrtes Gesicht auf. Zur Tür' ging er aus, ein paarmal, und ebensooft kam er wieder herein. Dann drehte er auf einmal ein sauberes Schächtlein zwischen den Fingern, in geblümtes Papier trat er's hinein und einen knallroten Spagat zog er zuletzt herum.
Da hatte denn der Schellenkapper sein Heuwetter, und er meinte wirklich Wunders zu haben. In sein Schneuztuch knotete er's umständlich hinein. Das Tuch hing er an den Schnabel von seinem Handstecken. Auf die Gasse stolperte er hinaus, und allnun trieb er wieder heimzu. Steifgläubig und glücklich wie einer, der's schiere Mirakel im Sack hat.
Und gottswahrhaftig, wie er so eine Wegstunde und eine halbe gelaufen war, da deucht' ihn, das Gewölk würde schon lichter. Die Hölzer und Hügel rauchten noch, aber durch das fludrige Nebelreißen hindurch sah man schon manchmal ganz deutlich einen Tannenspitz, einen Kirchturm, und das gute, helle Gesicht von einer fernen Kapelle.
Den Stecken auf der Achsel zottelte der Schellenkapper fürbaß. Allfort fleißig schwang er die Beine: Herzlich vergnügt zog er seinen Trott. Nicht zu gemach, nicht zu flink, nur eben recht. So oft eine Lerche wirbelte, blickte er dankbar zum Himmel. Gar wenn der Guckigauch schrie, lachte er wie ein Zuckerstock. „Ich bring' es heim, das Heuwetter!“ freute er sich. „Nur stät, ich bring' es heim! Da droben hab' ich's auf meinem Buckel!“ – Und schon roch er die süßen Mahden.
Durch die Dörfer passierte er. Er schaute sich nicht viel um. Wieder in die Wiesen trabte er hinein. Einmal ging's auf der geraden Straße dahin, dann wieder zwickte er einer Krümme flugs den Schwanz ab. Stracks auf sein Heimatdorf hielt er zu. Lauter Glücksvögel und Habergeißen hatte er im Kopfe. Fort und fort dachte er an sein schönes Heimbringens.
Da drüben war jetzt wieder der Hahnenberg. Der Appetshöfer Kirchgockel lugte dahinter hervor.
Der Schellenkapper stellte auf einmal die Ohren. Horch, wispert etwas, und er glaubt, es wär' nicht gar weit von seinem Buckel. Wie ein Hurneiß, so war ihm, sei's gewesen.
Er hob den Stecken von der Achsel und loste hinein ins Schneuztuch. Da drinnen surrte und raunte es. „Kanns das Heuwetter sein?“ grübelte er. „Wird mir doch auf die Letzt nicht rebellisch werden, jetzt, wo wir gleich gar daheim sind?“
Ein wenig war er bekümmert. Nieder krackelte er sich auf dem Schafwasen, nicht weit von der großmächtigen Drudenfichte, die ehzeit allda gestanden. Er nestelte fürsichtig das Nastuch auf. Er luchste eine Weile am Schächtlein; von allen Seiten tat er's beschmecken. Da drinnen gramselte was. Es dulete, sprudelte, und war ganz traulich zu hören. Justament wie ein Baßgeiglein tat es schnurren und brummen, wenn das Kirwewetter schön blau ist.
Regenwetter! Heuwetter? Kirwewetter? Allewetter? – Was war das für ein Gaukemühl' von allerhand Wettern in seinem Kopf? Der Schellenkapper kannte sich bald nicht mehr aus. Vor lauter Wettersachen tümmelte ihm der Schädel. „Kreuz, Türken und Holderstock, was für ein Ding da drinnen ist, das muß ich aber schon wissen!“
Er ruckte ein weniges am Deckel, zu sehen, was er Schatzwertes vor sich hab'. Hei, surri und hurri! – Und das Heuwetter, jetzt war's ihm heraus! Wie ein Hummelkönig, leibhaftig wie ein Hummelkönig, war's ihm entgegengeschossen, und nun schnob es, gleich einem Pfeil, in die Lüfte und schwang sich hinauf über den Fichtenspitz.
Dem Schellenkapper stieg das Haar geberg. Er tat einen Satz wie ein Heuschreck. Er warf in der hellen Verzweiflung die beiden Armstecken in die Luft, und hintendrein und noch höher hinauf seinen Handstecken und das Hütlein. „Häweter, Häweter!“ plärrte er. „Häweter flieg Appetshofa zua!“
Er plärrte aus vollem Halse. Hinter dem Heuwetter drein rannte er, so sehr er konnte. Rannte, als brennte ihm der Steiß, nichts wie Appetshofen zu. Ohne Stecken, ohne Hütlein, ohne Schneuztuch, ohne den schönen Guldentaler kam er schweißnaß ins Dorf gejappt. Die Weiber stoben aus den Häusern. „Liabe Zeit“, schrien sie zusammen, „was isch em Schellekapper zuagschtoßa? Der sell ischt ja hell verschtört!“
Und die Bürgermeisterin schrie am lautesten. Ihr schwoll gefährlich der Kropf auf.
„Liabe Leut“, keuchte und greinte der Schellenkapper, und es war sein letzter Lungenzug, „liabe Leut, habet ihrs Häweter nit fliege gsecha? – I moinet doch allweil, auf Appetshofa wäar es zua!“
Nein, es haben die Appetshöfer das Heuwetter selbiges Tages nicht mehr zu sehen bekommen. Erst eine ganze Woche später stellte sich's allgemach ein, sah man den ersten Sonnenblicker. Das Schimpfglöcklein hingegen hörten sie schon um ein paar Tage früher läuten. Eh' sie's vermeinten, war ihr närrischer Streich in der ganzen weiten Grafschaft herum. Jetzt, wie man denken kann, gab es Gelächter alle Stuben voll. Sie brauchten solch eine Witzung, die Appetshöfer, auf daß sie sich fürderhin nicht mehr über die anderen hinausberühmten.
Manchen Spöttelrein, manches lose Stichelwort mußten sie sich fortan gefallen lassen; durften kaum dabei mucken. Eine Zeitlang getrauten sie sich aber schier nicht über die Dorfhecken hinaus. Im schönen Neresheim drüben ließen sie sich schon gar nicht mehr erblicken.
Denn der Apotheker z'Neres, der war natürlich an allem schuld!

 „Übernächte Suggala”
(Übernächtigte Schweine)

Der Sauhirt hatte in die Kaufert ausgetrieben. Es hat eine große Überschwemmung gegeben. Er konnte deshalb nicht mehr heimtreiben und musste übernacht draußen bleiben mit seinen Suggala.